Making Of 3: Community
Grosse Pläne für ein grosses Wort. Wie die Zeitgeister-Community funktioniert und wie wir digitale Gemeinschaft schaffen wollen. Nein, wirklich.
Community – alle Welt spricht ständig davon. Und jedes Medium, das eine Social-Media-Stelle hat, behauptet, sie, ja sie würden Community neu denken. Ständig geht es um eine bedächtige Reflexion zur Beziehung zwischen Publikum und Medium, die am Ende bestenfalls dazu führt, dass man jetzt neu Kommentare bewerten darf™, einerseits, weil meistens die Entscheidungswege auch für kleinste Veränderungen lang und mühselig sind, andererseits, weil das ausgeklügelte Community-Konzept am Ende nicht von einer Handvoll, sondern höchstens von einer Prise Menschen überflogen und direkt wieder vergessen wird.
In diesem Newsletter sprechen wir über «Community», was wir uns für Zeitgeister diesbezüglich wünschen, die Gedanken, die dahinterstecken – aber auch ein paar klare Facts und Mechanismen.
Kapitel 1 – Im selben Boot:
Weltgeschehen als «Gemeinschaftserlebnis»
Dass die meisten grösseren Medien das mit der Community nicht so ganz hinkriegen, ist kein Wunder. Es braucht zwar schon rein marktlogisch ein treues Publikum, zu viel Community aber ist, und das wissen alle, die sich mal ins Internet gewagt haben, anstrengend – positiv wie negativ – und fordert eine Art von Arbeit, die sich nicht einfach in Abo-Conversions umrechnen lässt. Nicht zuletzt fordert Community das Gesamtkonzept des klassischen Journalismus heraus, weil es bedeutet, dass man Kontrolle abgeben muss.
Das Publikum besteht nicht nur aus Nörgler:innen, Trolls, Besserwisser:innen und Fans, sondern tatsächlich aus Menschen, man möchte es kaum glauben, die auch denken. Nur schon in der Vorarbeit zu Zeitgeister haben wir in Gesprächen mit diversen Menschen so viel thematischen Input erhalten, dass wir bereits damit ganze Sendungen füllen könnten. Heisst: Die Geschichtenentstehungsgeschichte (hach, ist die deutsche Sprache schön) wird durch echte, aufrichtige Partizipation gehörig durcheinandergeworfen, denn da ist plötzlich nicht mehr der pfeifenrauchende Journalist, der eine tolle Idee hat, der schliessliche alle zuhören und Applaus oder Kritik spenden. Nein, da können – wenn man sich traut und will – Geschichten plötzlich zu etwas Kollaborativem werden. Das Recherchieren, das Erzählen, das Zuhören, das Darüberreden; all das kann kollaborativ werden. Ein Gemeinschaftserlebnis. Und das ist ein Schlüsselwort für everything Zeitgeister.
Ich erinnere mich sehr gut, als in den späten 00er-Jahren langsam der sogenannte «Let’s play»-Trend aufkam. Die Idee ist ganz simpel: Anderen beim Zocken von Videospielen zusehen. Ebenso erinnere ich mich an skeptische bis höhnende Stimmen: Warum in aller Welt würde man jemandem beim Zocken zusehen wollen, ausser vielleicht, um herauszufinden, wie eine bestimmte schwierige Passage zu lösen ist? Man kann ja einfach selber spielen! Trotz dieses Einwands hat sich diese Idee auch als lukratives Geschäft entpuppt. Hätte der Youtuber PewDiePie damals nicht das Horrorspiel Amnesia: The Dark Descent vor Publikum gespielt, wäre er vielleicht nie berühmt geworden.
Aus Let’s Plays entstanden, sobald es die Technologie breitenwirksam möglich gemacht hat, sogleich Gaming-Livestreams, Twitch und – der Rest ist Geschichte. Turns out, einer sympathischen Person beim Spielen zugucken und mit Gleichgesinnten Spiele-Fans (darüber) zu diskutieren, macht Spass. Weil wir Menschen halt soziale Wesen sind und Gemeinschaft suchen.
Ein ähnliches Prinzip soll Zeitgeister leiten: Alleine im Dunkeln auf dem Bett einen Abend lang doomscrollen, alleine Artikel überfliegen, manchmal sogar lesen, ständig auf sich selbst zurückgeworfen sein, vielleicht mal eine Reportage weiterleiten an ein, zwei Freund:innen, irgendwo versteckt zwischen zwei Insta-Reels von süssen Orangutans und fünf Memes. Diesen nur allzubekannten Modus wollen wir bei Zeitgeister aktiv bekämpfen. Das Weltgeschehen geht tatsächlich alle etwas an, darum: Wieso es nicht gemeinschaftlich erfahren? Wir wollen einen digitalen Raum schaffen, der einerseits nicht ganz so offen wie beispielsweise Twitter ist (also ein «unter uns» ermöglicht), der aber auch ernsthaften bis lockeren Austausch ermöglicht, von Debatte bis Shitpost.
Kapitel 2 – Im selben Wohnzimmer:
Ein digitaler «dritter Ort»
Der Neoliberalismus hat zu Vereinzelung geführt, zu Isolation, zu Einsamkeit. Dazu beobachtbar ist zum Beispiel das Verschwinden von sogenannten Third Places. Wir haben ein Zuhause, unseren Arbeitsplatz und… Ja, und dann? Was sind diese dritten Orte? In Baden existierte bis 2017 das Kulturlokal Trotamundos, unentgeltlich betrieben von einem Verein. Gemütliche altmodische Sessel, ein Ofen, Bücher und Brettspiele, günstiges Bier, hin und wieder ein kleines Konzert – ein Ort, an den du jederzeit gehen kannst und immer jemanden treffen wirst, den du kennst. Ein veritables zweites Wohnzimmer.
Solche Orte verschwinden immer mehr. Und auch digitale Third Places werden seltener. In den frühen 00er-Jahren gab es MSN, IRC-Chats, Foren und diverse andere digitale dritte Orte, in denen es einfach war, Gemeinschaft zu finden. Dieses Gefühl –und das langsame Kommen von Social Media – hat übrigens die Spielreihe «Emily is away» wundervoll emuliert. Achtung, Nostalgie:
Doch all diese kleinen Communities wurden zunehmend verdrängt von Social-Media-Giganten, die sich, im Falle von Twitter seit Elon Musks Übernahme, mit diversen Policy-Entscheiden ins eigene Knie geschossen haben. Oder findet tatsächlich noch irgendjemand, Social Media sei… angenehm? Die Ironie: Social Media hat das zwar auf wenige Orte konzentriert und, zum Beispiel im Falle von Facebook mit seiner Klarnamenpflicht, zu einem Ort gemacht, der nie so sozial akzeptiert war wie zuvor, zu einem Ort, der nahbar und authentisch sein soll, aber eigentlich so unpersönlich ist wie noch nie.
Mit Zeitgeister wollen wir dieser Entwicklung entgegenwirken und einen Ort machen, der, funktioniert wie eine gute Stammbeiz, einen Salon oder das Wohnzimmer einer dieser WGs, in der ständig Leute ein und ausgehen. Es gelten bei uns also andere soziale Regeln als auf Twitter oder Facebook. You get the point.
Kapitel 3 – Im selben Chatroom:
Chat, Call-ins und Discord
Das sind alles mehr oder minder schöne Worte und blumige Ideen. Wie können wir diese manifestieren? Bestimmt nicht durch blosse Rumträumerei. Aber durch eine solide Community-Strategie. Eins vorneweg: Die meisten Social-Media-Plattformen, auf denen Zeitgeister präsent ist, sind im Grunde Content-Distributionssysteme, nicht mehr, nicht weniger. Eine Community-Stragie rund um die bewährten Plattformen von Instagram bis TikTok aufzubauen, braucht enormes Commitment, viel Zeit, viele Ressourcen – Ressourcen, die wir bei Zeitgeister (noch) nicht haben. Denn jede Plattform erfordert ein eigenes Konzept, die wenigsten davon lassen sich einfach je nach Plattform austauschen. Wir müssen und wollen uns bei Zeitgeister auf das Wesentliche konzentrieren.
Chat: Eine Show wird fluid
Die direkteste Interaktion mit unserer Community findet, diktiert durch unser Format, direkt im Stream statt. Wer unsere Streams schaut kann, egal von welcher Plattform aus, mitchatten. Die meisten von euch werden wohl auf YouTube mitchatten, bei uns laufen aber alle Kommentare von sämtlichen Plattformen von Twitch bis Twitter, in unserem virtuellen Studio zusammen. Diese Kommentare können wir wahlweise einblenden. Gehört wirst du von uns also, ganz egal, woher du kommentierst. Falls du dich aber primär mit anderen Chatter:innen austauschen willst, empfehlen wir dir vorerst, auf Youtube zu kommentieren. Dort hast du den Double Whammy: Wir sehen, was du schreibst, die Community aber auch.
Der Chat ist aber nicht «nur» eine Kommentarmaschine. Wie oft haben wir uns gefragt, wie eine Talk-Sendung, ob Maischberger oder SRF Club, aussähe, wenn alles, was in den sozialen Medien zu den jeweiligen Sendungen gepostet wird, nicht nur von Community-Redaktor:innen im Nachgang angeschaut und zu einem Briefing zusammengefasst würde – sondern tatsächlich live Einfluss auf den Verlauf der Sendung hätte. Was wäre da alles möglich! Live-Factchecking zum Beispiel. Oder User:innen können – für Community und Hosts – Kontext zum Besprochenen bereitstellen, von Breaking-News-Meldungen bis zu Essays oder Videos, die man flugs in der Show anschauen und besprechen kann. Das ist es, was ich eingangs meinte: Einen Chat ernstzunehmen heisst, dass die üblichen Produktionsbedingungen sich verändern, bis hin zum akribisch geplanten Sendungsverlauf. Der Chat erlaubt tatsächlich einen konstanten Dialog mit der Community, der wiederum einen realen Einfluss auf die Show hat. Das braucht Mut und Improvisationstalent von Seiten der Hosts. Haben wir das? We’ll show you.
Call-ins: Manchmal ist Schreiben zu unpersönlich
Wir kennen es alle: Von Tele Züri über Domian und US Talk-Radio – live in eine Show anzurufen, hat irgendwie seinen ganz eigenen Charme, nicht? Und manchmal denkst du, ach, dazu™ würde ich so gerne etwas sagen! Vielleicht ist es zu unpersönlich, deinen Beitrag schlicht im Chat zu schreiben. Vielleicht willst du auch etwas Längeres sagen, gar mit uns diskutieren. Auch das ist möglich. Via Discord kannst du tatsächlich direkt in die Show anrufen. Das machen wir in bestimmten «Call-in-Segmenten», die wir jeweils ankündigen, so, wie man es aus oben genannten Inspirationen kennt. Das kommt beispielsweise am Ende einer Debatte oder Konversation statt und du kannst unseren Gäst:innen so persönlich deine Fragen stellen. Da wir – es soll immer wieder betont sein – flexibel und unsere eigenen Meister:innen sind, werden wir aber garantiert mit Call-ins experimentieren.
Discord: Unser Home Turf
Wie wir uns unsere Community konzeptuell vorstellen, haben wir oben bereits ausführlich beschrieben. Die offene Frage aber war: Wo geht so etwas? Die Antwort: Auf Discord. Discord ist eine Community-Plattform, die ursprünglich zur Gaming-Bubble gehört, mittlerweile aber viel breiteres Ansehen geniesst.
Ein Discord-Server ist eine semi-geschlossene Plattform, das heisst, ohne Ticket bleibst du draussen. Dieses Ticket kannst du aber ganz einfach lösen, indem du ein Gratisabonnement abschliesst. Semi-geschlossen bedeutet auch: Von aussen sieht niemand rein, wir haben also, Achtung, Triggerwort, unseren eigenen Safe Space, in dem wir schalten und walten können, wie wir möchten. Trolle loszuwerden ist auf Discord darum relativ einfach.
Aber okay, okay, ich weiss, es ist für manche noch nicht ganz klar, was Discord ist und alles kann.
So sieht Discord aus:
Was Discord kann:
Chats in verschiedenen thematisch geordneten Kanälen. Im Moment haben wir noch wenige Kanäle, das kann sich aber, je nach Bedürfnis der Community, ändern. So bietet der Server unserer Kolleg:innen von The Majority Report einen Book-Club nebst vielen anderen schönen Dingen. Bei Zeitgeister konzentrieren wir uns aber vorerst aufs Wesentliche.
Sprachkanäle: Discord hat Kanäle für permanente Voice Chats. Konkret heisst das, dass kein Call zwischen zwei User:innen stattfindet, sondern ständig ein Raum bereitsteht, den man nach Belieben besuchen kann. Am Abend nichts vor und alleine vor dem Computer? Warum nicht in unseren Voice Channel reindroppen und ein bisschen ungezwungen mit uns und anderen Community-Member:innen quatschen? Näher an einen digitalen Stammtisch kommt man wohl kaum. Das Niveau darf aber ruhig höher sein. Bitte.
Debattenräume: Discord bietet auch einen Kanaltyp, der an klassische Foren erinnert. Dort werden wir von Zeit zu Zeit Debattenthemen vorschlagen, wo ihr richtig vertieft über ein eingegrenztes Thema mit uns und anderen diskutieren könnt.
Andere Server: Über den Discord-Client könnt ihr auch anderen Servern beitreten – es gibt sie zuhauf! Das Gute daran: Ihr müsst euch Discord nicht nur für uns besorgen, sondern könnt viele andere Communitys besuchen.
Unsere Waiting-Lobby: Ein Channel ist spezifisch als Warteraum für die Call-ins reserviert. Eine Anleitung dazu findet ihr auf unserem Server.
Bevor das hier zu einer Produkteshow für Discord wird: Discord erfindet das Rad nicht neu, aber es weiss dafür, dass es vier Räder für ein Auto braucht. Discord verbindet diverse altbekannte Features von Slack bis Zoom (und Teamspeak, für die alten Zockerhasen unter euch) und gibt uns damit die Möglichkeit unser Community-Konzept tatsächlich umzusetzen.
Lasst uns etwas aufbauen
Noch ist es nicht ganz so laut bei den Zeitgeistern, aber vielleicht – hoffentlich – findet ihr den Weg zu uns. Lasst uns die beste Politik-Community aufbauen, die es im deutschsprachigen Raum gibt!