Donald Trump wurde zum 47. Präsidenten der USA gewählt. Wie konnte das geschehen? Und was geschieht nun mit dem Land? Alles lässt sich noch nicht beantworten. Die Konturen von Trumps zweiter Amtszeit zeichnen sich aber ab.
Die Umfragen stimmten
Auch, wenn die Nachricht von Trumps Sieg online und in den Medien bisweilen als Schock aufgenommen wurde: Sein Sieg ist keine Überraschung. Die Umfragen lagen richtig. Die Thesen von Links, dass alle Umfragen systematisch falsch seien und Harris abräumt, waren blosse Realitätsverweigerung. Eine verzweifelte Coping-Strategie, die sogar geschadet haben könnte (Demobilisierung).
Über die realitätsferne Deutung der Umfragen haben wir vor der Wahl in der Show diskutiert. Die Geschichten, die konstruiert wurden, um zu erklären, warum alles doch ganz anders ist, waren nie überzeugend. Sie spendeten aber Trost und Hoffnung im Lichte einer Entwicklung, die geradezu surreale Züge hat.
Es gibt keine Bremsen mehr
In seiner ersten Amtszeit erlebten wir einen Trump mit angezogener Handbremse. In seinem Kabinett gab es Leute wie Rex Tillerson (Aussenminister), Mike Pence (Vizepräsident) oder John Kelly (Stabschef), die Trump zumindest ein Stück weit die Stirn boten und damit seine schlimmsten Impulse in Schach hielten.
Das ist Geschichte. Trump wird seine neue Regierung ausschliesslich und ausnahmslos mit Loyalisten besetzen, die ihm jeden Wunsch von den Lippen ablesen. Das bedeutet nicht, dass sich die Republikanische Partei heute ausschliesslich aus fanatischen Trump-Loyalisten besteht. Es sind auch Karrieristen. Wenn man in den USA auf der rechtskonservativen Seite Karriere machen und Einfluss gewinnen will, gibt es nur einen Weg: Bedingungslose Unterwürfigkeit gegenüber Trump.
Die eigentliche Gefahr: JD Vance
Dass Trump gewählt wurde, ist für sich genommen bereits eine Gefahr für Demokratie. Die noch grössere Gefahr stellt aber sein Vize dar, JD Vance.
JD Vance hat Trumps Charisma nicht, was rein politisch seine grösste Schwäche ist. Diese kompensiert er aber mit einem messerscharfen Intellekt und seinem Alter — er ist erst 40 Jahre alt. Und er ist ein überzeugter Autokrat, der aus einem ganz anderen Holz als Mike Pence, Trumps erster Vize, geschnitzt ist. Pence war inhaltlich in den meisten Punkten mit Trump einverstanden. Er lehnte es aber ab, Trump bei seinem Putsch zu unterstüzten. Derartige Hemmungen kennt Vance nicht. Er ist bereit, das MAGA-Erbe anzutreten. Bedingungslos, ohne Wenn und Aber.
Wir haben Vance vor einigen Monaten in der Show portraitiert. Sein Aufstieg ist in der amerikanischen Politik einmalig. Nicht zuletzt, weil der rechte Tech-Milliardär Peter Thiel ihn als politisches Wesen erschaffen hat.
Die Tech-Oligarchen sind die Königsmacher
Am 5. November hat nicht nur Trump gewonnen. Trumps Triumph ist auch ein Triumph rechtslibertärer Tech-Milliardäre. Elon Musk hat seine gesamte Macht in den Dienst von Trump gestellt. JD Vance ist ein Zögling und Langzeit-Projekt von Peter Thiel. Beide werden nun Return auf ihr Investment wollen.
Was genau wollen sie? Trump hat angekündigt, Musk einen Regierungsposten zu verleihen. Nur schon das ist grotesk. Musk hält mit seinen Unternehmen Verträge mit dem Staat, die Milliarden wert sind. Nun soll er direkt an der Regierung dieses Staates beteiligt sein. Himmelschreiender kann ein Interessenkonflikt nicht ausfallen. In Trumps Welt spielt das aber keine Rolle. Musk war schliesslich loyal.
Das dürfte aber nur die Spitze des Eisbergs sein. Sowohl Musk als auch Thiel sind radikalisierte Antidemokraten. Thiel hat schon vor Jahren erklärt, Demokratie sei inkompatibel mit Freiheit. Musk teilte auf Twitter / X u.a. einen Post, in dem gefordert wird, Frauen dürften nicht wählen, weil sie dazu kognitiv nicht in der Lage seien.
Thiel und Musk sind ideologische Fanatiker, die jetzt an den Hebeln der Macht sitzen und die amerikanische Gesellschaft zumindest ein Stück weit nach ihrem Gusto umbauen können.
Wir haben auch Peter Thiel in der Show portraitiert. Was auf den ersten Blick nach einem harmlosen Herr-der-Ringe-Nerd aussieht, ist in Wahrheit ein Megalomane, dessen intellektuelles Vorbild die Abschaffung von Demokratie und die Einführung von Monarchie fordert.
Orbanisierung der USA
Trump bekämpft seit mindestens vier Jahren die amerikanische Demokratie. Die grosse Sorge vieler Kommentator:innen ist, dass er seine autoritären Fantasien nun umsetzt und die USA zu einer MAGA-Diktatur umwandelt.
Derart drastisch wird die Veränderung nicht ausfallen. Aber eine Veränderung wird es geben. Die USA werden eine Orbanisierung durchmachen, im Geiste des ungarischen Vorbilds. Das wichtigste Ziel von “Project 2025”, des grossangelegten Rechtsaussen-Plans für die Umgestaltung der USA in Trumps zweiter Amtszeit, ist der Umbau des administrativen Apparates. Die Orbanisierung der USA wird über diesen Umbau stattfinden.
Die Trump-Regierung wird einerseits versuchen, die Unabhängigkeit und die Befugnisse möglichst vieler nationaler Behörden zu reduzieren oder aufzuheben. Macht wird damit stärker direkt beim Präsidenten konzentiert, und die Behörden können ihre heutigen regulatorischen Aufgaben entsprechend nicht mehr wahrnehmen. Davon profitieren zum Beispiel Grossunternehmen.
Der zweite Aspekt dieses Umbaus ist der Austausch des Personals der Behörden. Mitarbeitende werden en masse durch Trump-Loyalisten ersetzt, die die Behörden im Sinne von Trump und MAGA politisieren. Im Rahmen dieses Austausches soll das Personal auch stark reduziert werden, damit die Behörden ihre Arbeit rein logistisch nicht mehr richtig wahrnehmen können.
Diese Orbanisierung über einen Umbau von Behörden wird öffentlich als Kampf gegen den “Deep State” vermarktet werden. Was natürlich ironisch ist, denn Trump wird damit in Wahrheit einen “Deep State” erst erschaffen: Einen grossen administrativen Apparat an ungewählten MAGA-Loyalisten, die nicht für das Wohl des Landes, sondern ausschliesslich für Trump arbeiten.
Die Implosion der Demokratischen Partei
Die Strategie der Demokratischen Partei, sich zentristisch bis mitte-rechts zu positionieren, ist einmal mehr gescheitert. Die Auftritte von Kamala Harris mit der Republikanerin Liz Cheney werden als Mega-Debakel in die Geschichtsbücher eingehen.
In der Demokratischen Partei wird ein Flügelkampf ausbrechen. Der progressive Flügel um Akteure wie Bernie Sanders und AOC wird dem zentristischen Flügel unterliegen. Die Demokratische Partei wird einen Rechtsrutsch durchmachen, um den “Medianwähler” zu erreichen. Die gesamte Politik verschiebt sich nach rechts und die Demokratische Partei zieht mit. Das wird aber kein Schlüssel zu zukünftigen Siegen, sondern im Gegenteil zu weiteren Verlusten. Die Geschichte wird sich erneut wiederholen.
In der nahen Zukunft wird es für die Demokratische Partei auf nationaler Ebene keine klaren Gelegenheitsfenster geben, um zurück an die Macht zu kommen. Trumps Nachfolge ist gesichert. Eine Abschaffung des Electoral College ist undenkbar. Im Parlament schwächelt die Partei seit Jahren. Eine Konstellation wie unter Obama, in der die Demokratische Partei zwei Jahre lang Mehrheiten in beiden Kammern stellte, ist in der aktuellen gesellschaftlichen Konfiguration vollkommen utopisch.
Ukraine-Krieg
Trump und Vance haben im Wahlkampf erklärt, sie seien gegen die aktuelle Unterstützung der Ukraine. Die Trump-Regierung wird diesen Worten Taten folgen lassen. Die Unterstützung der Ukraine wird gedrosselt bis eingestellt. Das Trump-Kabinett wird einen “Deal” herbeiführen: Die Ukraine gibt Territorium an Russland ab und darf nicht der Nato beitreten, evtl. auch nicht der EU. Das ist der Plan, der Vance vor einigen Monaten öffentlich präsentiert hat. Diesen Plan wird seine Regierung umsetzen.
Massendeportationen
Migration ist das vielleicht wirksamste und wichtigste Thema in Trumps Demagogie. Diese hat im Wahlkampf neue Höhen erreicht, als Trump mehrmals proklamierte, Migranten würden das “Blut des Landes vergiften”. Im Zuge seiner Anti-Migrations-Demagogie versprach Trump, bis zu 20 Millionen Migrant:innen zu deportieren.
In den USA leben gegenwärtig nur rund 11 Millionen undokumentierter Migrant:innen. Welche 9 Millionen Menschen mit Aufenthaltsbewilligung deportiert werden sollen, erklärte Trump nicht. Die Deportationspläne dürften aber so oder so an ökonomischen Realitäten scheitern. Einerseits wäre eine derartige Deportations-Aktion enorm teuer und logistisch kaum umsetzbar (zumindest ohne massivste Verletzungen von Menschenrechten). Andererseits dürften sich Grossunternehmen, u.a. aus dem Landwirtschaftssektor, dafür einsetzen, dass ihre relativ günstigen Arbeitskräfte im Land bleiben dürfen.
Die angekündigte Deportation von 11 Millionen Migranten wird voraussichtlich nicht im versprochenen Mass stattfinden. Grossunternehmen u.a. in der Landwirtschaft dürften sich hinter den Kulissen dafür einsetzen, dass ihre relativ günstigen Arbeitskräfte bleiben dürfen. Das bedeutet nicht, dass es gut ist, wenn Menschen ohne Papiere ökonomisch ausgebeutet werden. Es ist aber womöglich der einzige Mechanismus, der Trump von seinen Deportationsfantasien abhält.
Ein Irrer wird Gesundheits-Zar
Robert F Kenney Jr. wird Teil der Trump-Regierung. Trump hat ihm versprochen, dass er die Kontrolle über alle Gesundheitsbehörden der USA erhalten wird.
Das klingt zunächst nicht bedenklich; irgendjemand muss ja den Laden schmeissen, auch im Bereich Gesundheit. Das Problem mit RFK Jr. ist aber, dass er in Gesundheitsfragen den Bezug zur Realität verloren hat und in einer von Verschwörungstheorien durchtränken Parallelwelt lebt.
Nicht nur ist RFK Jr. eingefleischter Kämpfer gegen alle Arten von Impfungen. Er ist auch überzeugter HIV-AIDS-Leugner. Seit Jahren vertritt er die irrwitzige und wissenschaftlich gründlich und lückenlos widerlegte Ansicht, das HI-Virus verursache nicht AIDS und das Problem seien andere Faktoren wie bestimmte Drogen.
Das ist eine grundlegend irrationale Weltanschauung, die bereits Menschen in den Tod getrieben hat. In einer normalen Welt wäre RFK Jr. bloss einer unter den unzähligen YouTube-Gesundheits-Verschwörungserzählern. In Trumps Welt wird er die Gesundheit von über 300 Millionen Menschen beeinflussen.
Trumps Rache
Trump hat in den vergangenen zwei Jahren über 100 Mal erklärt, er wolle seine politischen, juristischen und medialen Gegner bestrafen. Seinen Zorn wird er nach der Vereidigung nicht ablegen. Er will Rache.
Für seinen Rachefeldzug wird er das Jusitzministerium Department of Justice und die umzubauenden Behörden nutzen. Es wird keine Tribunale und öffentlichen Hinrichtungen geben. Es wird sehr wahrscheinlich auch kaum Verurteilungen geben. Was es aber geben wird: Das Signal, dass, wer sich Trump in den Weg stellt, mit der vollen Wucht des amerikanischen Staates, den Trump in der Hand hat, rechnen muss. Vielleicht überlegt man sich als Chefredaktion einer Zeitung dann zwei Mal, ob man einen kritischen Artikel veröffentlichen will, wenn die Konsequenz ein zwar unsinniger, aber teurer Rechtsstreit ist.
MAGA über alles
Trump erklärte 2016, er könnte auf offener Strasse jemanden erschiessen und würde keine Wähler verlieren. Er hat recht.
Der hinter uns liegende Wahlkampf hat eindeutig und unmissverständlich gezeigt, dass es so etwas wie Skandale für Trump und MAGA nicht mehr gibt. Kein demagogischer Tabubruch, kein Angriff auf demokratische Institutionen, keine Verletzung von Menschenrechten, keine moralische Transgression seitens Trump oder anderen Konservativen wird MAGA-Anhänger:innen von MAGA abbringen. Im Gegenteil: Jede noch so legitime Kritik an Trump und MAGA schweisst die Gemeinschaft noch stärker zusammen. Ist Bestätigung dafür, dass "die Eliten”, dass “das System” ihnen ihren Trump, ihren Vance, ihre politische Familie, ihre Identität wegnehmen will.
Diese Selbst-Viktimisierung über das Feindbild “die Eliten” und der Personenkult um Trump überstrahlen im MAGA-Ökosystem alles. MAGA ist unantastbar.