Stell dir vor, ein Attentat auf einen Präsidentschaftskandidaten wird verübt — und niemand redet darüber.
Klingt absurd, oder? Das ist aber im Wesentlichen, was mit Donald Trump geschehen ist. Am 13. Juli wurde Trump Opfer eines Mordanschlags, den er glücklicherweise überlebt hat. Damals, vor rund einem Monat, war ich überzeugt: Das war’s, Trump wird Präsident. Das Ereignis und besonders Trumps heroische Pose mit der in die Luft gestreckten Faust sind einfach zu gewaltig. Schon vorher führte Trump klar in allen Umfragen. Das überlebte Attentat, dieses historische Ereignis, hätte das Tüpfelchen auf dem i sein können.
Doch heute, rund einen Monat später, hat sich das Blatt so gut wie komplett gewendet. Joe Biden trat als Kandidat zurück und seine Vizepräsidentin Kamala Harris übernahm. Und wie: Lag sie noch im Juli in Umfragen weit abgeschlagen hinter Donald Trump, holt sie ständig auf — und führt mittlerweile sogar in einigen für die Wahl wichtigen Swing States.
Donald Trump und die Republikanische Partei kommen mit Kamala Harris ganz und gar nicht klar. Die Angriffe auf sie funktionieren nicht. Der merkwürdige Versuch etwa, sie dafür zu kritisieren, dass sie zu viel lache, dürfte als eine der verzweifeltsten politischen Angriffstaktiken in die Geschichte eingehen. Mit jedem verstreichenden Tag wird die Panik im Trump-Lager grösser. Trumps neuester Streich: Die grosse Menschenmenge, die Harris und ihren Vize-Kandidaten Tim Walz am 7. August in Detroit begrüsste, sei nur AI-generiert. In Wahrheit sie niemand vor Ort gewesen.
Das ist natürlich eine absurde Lüge, die Trump in seiner Panik verbreitet. Seine eigenen Wahlkampfveranstaltungen bleiben halb leer, während die Begeisterung für Harris und Walz steigt und steigt.
Warum? Was ist in den vergangenen vier Wochen passiert? Warum kommen Trump und MAGA ins Stolpern? Zwei Faktoren sind für diesen gewaltigen Umbruch zentral: Das Was, also Policy bzw. Politikinhalte, und das Wie, die Art und Weise, wie Kamala Harris, Tim Walz und die Demokratische Partei selbstbewusst kommunizieren.
Das Was: Trumps Politik ist unbeliebt
Die Diskussion zu den US-Wahlen fokussierte monate-, wenn nicht jahrelang auf die Frage, wie fit Joe Biden noch ist. Das war für die Republikaner ein gefundenes Fressen, ein fast perfekter Angriffsvektor. Sie konnten unablässig über Joe Bidens Alter und Gesundheit spotten und damit bei Millionen Menschen punkten — und, genauso wichtig, von der eigenen Politik, die sie betreiben, ablenken. Auch die Medien machten bei diesem Spiel mit, denn der sogenannte “Horse Race Journalism”, also die Berichterstattung über Entwicklungen im Wahlkampf anstatt über politische Inhalte der Kandidierenden, ist für Klicks immer gut.
Nachdem sich Biden am 21. Juli als Kandidat zurückzog, kollabierte diese bis dahin so erfolgreiche Strategie des Trump-Lagers. Die politische Debatte veränderte sich praktisch von einem Moment auf den anderen grundlegend. Mit Bidens Abgang war plötzlich viel diskursive Luft da, um über politische Inhalte zu reden, auch in den Medien.
Wenn man über politische Inhalte redet, wird klar, wie unbeliebt das, was Trump und sein Vize-Kandidat JD Vance fordern, eigentlich ist. Harris und Walz positionieren sich glaubwürdig als Verfechter:innen der Interessen von Arbeiter:innen, von Frauen, von Pensionierten, von Kindern. Trump und Vance hingegen, ein superreich geborener Milliardär und ein Venture-Capital-Vertreter, der Zögling des rechten Milliardärs Peter Thiel ist, sind autoritäre und reaktionäre Elite-Angehörige, deren Politik normalen Menschen in keiner Weise nützt. Besonders ein Argument dürfte im gegenwärtigen politischen Moment sehr erfolgreich sein: Trump, ein verurteilter Vergewaltiger, und Vance, ein Reaktionärer, der u.a. sagt, Frauen sollen sich auch dann nicht scheiden lassen, wenn sie von ihrem Mann misshandelt und geschlagen werden, wollen kontrollieren, wie Frauen leben. Harris und Walz wollen, dass Frauen selber entscheiden können. Der Kontrast könnte nicht klarer sein. Und er wird immer stärker wahrgenommen.
Das Wie: Harris und Walz bieten Trump die Stirn
Der zweite Faktor, der MAGA zum Bröckeln bringt: Endlich, endlich, endlich lässt sich die Demokratische Partei von Trump und Co. nicht mehr wehrlos schikanieren und rhetorisch prügeln. Sie bieten dem Bully Trump die Stirn — und entlarven ihn und den MAGA-Kult dabei als das, was sie sind: Einfach nur merkwürdig. Weird.
Diese Beschreibung hat Harris’ rhetorisch sehr begabter Vize-Kandidat Tim Walz geprägt. Die Republikaner sind heute Leute, die Bücher zensieren, die Frauen unterdrücken wollen, die Wahlergebnisse nicht akzeptieren, die unablässig über “Wokeness” jammern, die aber nicht den Hauch von Lösungen für tatsächliche Probleme wie Gesundheitsversorgung oder Infrastruktur haben. Das ist einfach nur merkwürdig.
Mit der irritierenden, provokativen, sarkastischen Tonalität hat die Harris-Kampagne eine wirksame Sprache gefunden, die Menschen auch emotional erreicht und Kritik zielführend vermittelt, ohne in eine Opferhaltung zu geraten. Es geht nach wie vor um Inhalte, aber die Inhalte werden so vermittelt, dass die Botschaften ankommen. Trump, Vance und der Rest der Republikanischen Partei werden damit als die Heuchler entlarvt, die sie sind. Sie geben vor, sich für die Interessen normaler Menschen, der breiten Bevölkerung, einzusetzen, aber in Tat und Wahrheit richtet sich ihre Politik gegen sie.
Es kann noch viel geschehen
Der grosse Aufschwung von Kamala Harris und Tim Walz basiert auf “Vibes”, der manchmal etwas diffusen politischen Gefühlslage. Der Trend der letzten Wochen ist sehr klar: Trump, Vance und die Republikanische Partei rotieren im roten Bereich und finden kein probates Mittel gegen Harris und Walz.
Der Ausgang der Wahl ist aber natürlich alles andere als klar. So, wie sich Vibes in eine Richtung ändern, können sie auch wieder zurückschwingen. Klar ist aber, dass die aktuelle politische Konstellation ein sehr deutliches Gelegenheitsfenster für Harris und Walz darstellt. Sie haben die MAGA-Dampfwalze aufgehalten und den Zauber des Rechts-Reaktionären zumindest ein Stück weit verfliegen lassen. Der noch vor wenigen Wochen sehr wahrscheinliche Sieg Donald Trumps ist nun ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Das Ergebnis ist wieder offen.
Das Trump-Schiff ist bei Weitem noch nicht gesunken. Vielleicht erleben wir gegenwärtig aber den Anfang des Endes von Trumpismus und MAGA.