In Folge 2 steigen wir mit einem Thema ein, das wir letzte Woche aus Zeitgründen ausgelassen hatten: Eso-Märchenstunde beim Schweizer Fernsehen SRF. Im Dokumentarfilm “Der Wunderheiler – Energietherapie als Ergänzung zur Schulmedizin?” porträtiert SRF einen Wunderheiler, der Krankheiten auf einer “feinstofflichen” Ebene herausmassieren kann. Quacksalberei der ganz alten Schule. Dass es Menschen gibt, die solchen Humbug anbieten, ist nicht verwunderlich. Dass SRF derart unkritisch voraufklärerischen Gugus aufgreift hingegen schon.
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In den USA finden an Dutzenden Hochschulen pro-palästinensische Proteste statt — und die Reaktionen darauf sind eine totale diskursive und politische Entgleisung. Die Rede ist von “Terrorcamps” und antijüdischen Pogromen; einige Hochschulleitungen lassen die Proteste mit massiven, militarisierten Polizeieinsätzen auflösen.
Ist an den Protesten alles in Ordnung? Nein, natürlich nicht. Wie bei allen Protesten gibt es Personen, deren Verhalten und Ansichten inakzeptabel sind. Und Studi-Proteste sind allgemein immer überzeichnet, theatralisch, nicht selten cringe. Aber bei der Skandalisierung der Proteste geht es mehr um das Bedienen von Culture War-Narrativen als um die tatsächlichen Inhalte.
Bei den Anti-Vietnamkrieg-Protesten in den 1960er Jahren gab es auch Studierende mit inakzeptablen Ansichten, und auch jene Proteste fokussierten auf Kritik an einer Seite des Konfliktes. Waren darum alle Protestierende automatisch pro Vietcong, pro Terror, pro Diktatur? Nein, natürlich nicht. Eine solche Pauschalisierung ist, damals wie heute, nicht nur unterkomplex, sondern einfach nur absurd. In der Kakophonie der Aufregung gehen alle analytischen Grautöne verloren.
Das “Lustige” an der ganzen Skandalisierung des Spektakels der Proteste: Gäbe es die ganze Aufregung und die massiven Polizeieinsätze nicht, wüsste wohl kaum jemand, dass überhaupt etwas an den Hochschulen passiert.
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Das Hauptgericht der heutigen Folge: Ein Streitgespräch mit Olivia Eschmann und Caspar Oertli von “Der Funke” (ca. ab 00:43:30).
Der Funke ist Teil der “International Marxist Tendency” (IMT), einer marxistischen Organisation mit Sitz in London. Der Funke gründet im Mai 2024 die “Revolutionäre Kommunistische Partei” RKP in der Schweiz. Ihr Ziel: Die kommunistische Revolution in der Schweiz herbeiführen.
Da hat uns natürlich interessiert: Wie soll das aussehen? Unsere Debatte mit Olivia und Caspar ist ziemlich lang und ziemlich hitzig ausgefallen. Schon zu Beginn, als wir über die Organisationsstruktur reden, wird es konfrontativ. Wir schätzen es sehr, dass Der Funke zu dieser Debatte bereit war, und unsere sehr tiefgreifende Kritik richtet sich nicht an Personen, sondern an ihre Ansichten und Argumente.
Drei Punkte aus der Debatte wollen wir an dieser Stelle kurz ansprechen präzisieren.
I - Urknalltheorie und IMT. Die IMT lehnt die physikalische Urknalltheorie ab, weil das mit Marxismus nicht kompatibel sei (Urknalltheorie soll “idealistisch” sein und Gott als Möglichkeit erlauben.). Wir sprechen das in der Debatte an, weil wir in der Vorbereitung gesehen haben, dass das bei der IMT relativ viel Gewicht hat — und wir das sehr bizarr finden. Unsere Studiogäste haben uns nachträglich erklärt, dass das unfair war, weil wir das im Vorgespräch nicht als Thema definiert hatten. Das ist korrekt, wir hatten das im Vorgespräch nicht als Thema besprochen. Das Thema kam bei uns erst im Rahmen der Recherche richtig auf den Radar. Wir wollten sie damit nicht überfallen, sondern einfach verstehen, was sie von dieser Position, die die IMT in London umfassend in Texten festhält (der jüngste ist von 2023), halten. Es ist eine weltanschauliche Position, die ihre Organisation seit vielen Jahren explizit vertritt. Zu fragen, was es damit auf sich hat, ist unseres Erachtens nicht unfair, auch wenn wir nicht vorab angekündigt haben, dass wir danach fragen würden.
II - Bernie Sanders und Eisenbahngewerkschaften. Im Rahmen der Diskussion, ob es etwas bringt, sich im aktuellen System demokratisch zu beteiligen, sagen unsere Gäste, dass der linke US-Senator Bernie Sanders gegen Eisenbahngewerkschaften gestimmt habe; dies als Argument, dass das aktuelle System nicht funktioniere oder nicht funktionieren könne. Der Sachverhalt stimmt so aber nicht. Sanders stimmte Ende 2022 gegen ein Abkommen zwischen Eisenbahngewerkschaften und Eisenbahnunternehmen — weil darin für Eisenbahnangestellte keine bezahlten Krankheitstage enthalten waren. Sanders’ Antrag, bezahlte Krankheitstage einzubinden, fand keine Mehrheit. Darum stimmte er gegen das Paket; es ging ihm zu wenig weit. Sanders wollte mehr für die Gewerkschaften, nicht weniger. Dieses Mehr erreichte er auch: Dank anhaltendem öffentlichen Druck massgeblich durch Sanders lenkten die Eisenbahnunternehmen im Mai 2023 ein und führten bezahlte Krankheitstage ein (https://www.theguardian.com/business/2023/may/01/railroad-workers-union-win-sick-leave).
III - Der Funke / IMT / RKP und trans Menschen. Gegen Ende der Debatte sagt Robin, der IMT seien trans Menschen nicht wichtig. Das verneinen Olivia und Caspar energisch. Diese Behauptung war so von unserer Seite falsch, da zu ungenau und zu unpräzise. Im “Manifest der Revolutionären Kommunistischen Internationale” (https://www.marxist.com/manifest-der-revolutionaeren-kommunistischen-internationale.htm) steht:
Das heißt: Wir sind gegen Unterdrückung und Diskriminierung jeder Art, sei sie gegen Frauen, ethnische Minderheiten, Homosexuelle, Transpersonen oder irgendeine andere unterdrückte Gruppe oder Minderheit gerichtet.
Sofort danach steht aber Folgendes:
Aber wir lehnen die Identitätspolitik kategorisch ab, die vorgibt, die Rechte einer bestimmten Gruppe zu schützen. Unter diesem Deckmantel spielt sie eine reaktionäre und spaltende Rolle, die letztlich die Einheit der Arbeiterklasse schwächt und der herrschenden Klasse einen unschätzbaren Dienst leistet.
Die Arbeiterbewegung hat sich mit allen möglichen klassenfremden Ideen infiziert: Postmodernismus, Identitätspolitik, „politische Korrektheit“ und all der andere bizarre Unsinn, den das „linke“ Kleinbürgertum, das als Riemen für klassenfremde und reaktionäre Ideologie fungiert, von den Universitäten eingeschmuggelt hat.
Die Solidarität mit vulnerablen Gruppen wird betont, um danach eine Invektive gegen “Identitätspolitik”, Postmodernismus, “politische Korrektheit” und sonstigen “klassenfremde Ideen” zu platzieren. Hier sehen wir das Problem: Hyper-Klassenreduktionismus. Es ist offenkundig irrational, alles immer nur als Klassenkampf zu verstehen, und als einzige Lösung eine nebulöse Revolution in der Zukunft zu postulieren. Ein Beispiel. Zu kritisieren, dass die republikanische Partei in den USA die reproduktiven Freiheiten von Frauen massiv einschränkt, ist nicht “Identitätspolitik”, und die Situation wird in keiner Weise verbessert, wenn man auf einen Klassenkampf verweist, der irgendwann irgendwie stattfinden soll. Die Konsequenz dieses Hyper-Klassenreduktionismus: Die vulnerablen Gruppen, um die es geht, werden in ihrer Benachteiligung und Unterdrückung letztlich allein gelassen. Die angebliche Solidarität mit den Betroffenen ist nichts als ein hohles Lippenbekenntnis.
#2: Kommunistische Revolution? Debatte mit «Der Funke» | Gaza-Proteste an US-Unis