Zeitgeister
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BONUS: Warum so kritisch?
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BONUS: Warum so kritisch?

Warum eine gesellschaftskritische Perspektive wichtig ist.

Nach unserer ersten EsoGulasch-Folge zu Rudolf Steiner wurden wir gefragt: Muss es so verbissen kritisch sein? Kann man nicht auch über die positiven Seiten und Dinge reden?

Darüber reden wir in dieser Bonus-Folge. Also nicht über die positiven Seiten von Rudolf Steiner. Sondern allgemein über unsere gesellschaftskritische Perspektive. Mit unseren Shows üben wir in erster Linie Kritik an gesellschaftlichen Zuständen. Das kann durchaus gewisse Fallstricke beinhalten. Konkret:

  • Confirmation Bias. Wenn man a priori eine kritische Haltung hat, ist man sozusagen darauf geeicht, Zustände und Ereignisse als normativ falsch zu beklagen. Das kann in Form von Confirmation Bias (Bestätigungsfehler) dazu führen, dass man hyperaktiv nach Problemen sucht, wo vielleicht gar keine sind.

  • Clickbait. Der Fokus auf das Negative kann dazu verleiten, bewusst Negatives zu inszenieren oder gänzlich herbeizufabulieren, um damit Aufmerksamkeit zu erhaschen. Auf diese Level bewegen wir uns nicht, aber wir sind uns bewusst, dass Geschichten über Probleme publizistisch besser funktionieren als Geschichten über Positives.

  • Die Welt wird immer besser. Die Welt ist heute in mancherlei Hinsicht besser als vor 50, vor 100, vor 200, vor 500 usf. Jahren. Beklagen wir uns heute sehr intensiv über Dinge, die im Grossen und Ganzen kleine Unbequemlichkeiten sind?

Warum wir trotz dieser Punkte kritisch sind und kritisch bleiben:

  • Die Welt wird nicht immer besser. Die Vorstellung, dass die Welt immer besser wird, ist ein gefährlicher Trugschluss. Ja, die Welt ist heute in vielerlei Hinsicht besser als früher. Zu glauben, dass es darum aber immer so weitergehen wird, ist eine Illusion, die als das Induktionsproblem bekannt ist. Im Rahmen dieser Illusion ignorieren wir, dass es heute z.B. so grosse gesellschaftliche, globale Risiken wie noch nie gibt.

  • Die Welt kann noch besser werden – Fortschritt hört nicht auf. Auch, wenn wir die Prämisse “heute ist es doch besser als früher” akzeptieren, ist sie sinnlos. Denn: Würde man dieses Argument ernst nehmen, hätte man es auch damals, als es schlimmer als heute war, ernst nehmen müssen — und in der Konsequenz das, was früher schlimmer war, nie überwunden. Das bedeutet: Fortschritt, also das Maximieren lebenswerter Leben, hört nicht auf, weil die Situation zum Zeitpunkt t-1 schlechter war. Denn zum Zeitpunkt t-1 war die Situation besser als zum Zeitpunkt t-2, sodass man zum Zeitpunkt t-1 auch hätte sagen müssen: Alles halb so wild. Ein infiniter Regress der sinnlosen Relativierung. Würde man dieses Totschlagargument ernst nehmen, würde es zu zivilisatorischem Stillstand führen.

  • Moralische Asymmetrie: Das Schlimme ist schlimmer als das Gute gut ist. 100 Kinder verbringen einen Tag am Strand. 99 sind überglücklich: Sie toben im Meer, geniessen Eiscreme und bauen Sandburgen. 1 Kind ertrinkt. Würden wir hier sagen, dass wir nicht zu sehr auf das Negative fokussieren sollten, da die 100 Kinder im Schnitt einen ziemlich schönen, glücklichen Tag hatten? Nein, natürlich nicht. Denn wir denken, wenn es hart auf hart kommt, richtigerweise negativ-utilitaristisch: Glück ist gut und wünschenswert, aber Leid ist schlimmer als Glück gut ist. Unsere moralische Priorität als rationale Beobachter*innen des Zeitgeschehens muss darum sein, im weitesten Sinne Leid zu identifizieren und zu dessen Reduktion beizutragen.

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