Making Of 1: Es werde Zeitgeister
Über die unvernünftige Idee, ein unabhängiges Mini-Medien-Startup zu gründen. Und warum wir es trotzdem tun.
Was zum Teufel machen wir hier eigentlich?
Bevor es mit Zeitgeister so richtig losgeht (wir starten am 24. April), wollen wir in den kommenden Wochen versuchen, diese Frage in einer fünf-teiligen Newsletter-Serie zu beantworten.
Es gibt heute unzählige klassische und alternative Medien, endlos viele «Content Creators», die Sachen ins Internet stellen. Und wir gesellen uns zu ihnen. Wow, darauf hat die Welt gewartet 🙄.
Na ja, vielleicht irgendwie schon ein bisschen. Wir denken, dass das, was wir mit Zeitgeister vorhaben, im deutschsprachigen Raum so noch zu wenig gemacht wird. Wir wollen die Debatte erweitern und aufmischen.
Aber das sind alles so vage und abstrakte Phrasen. Lass uns konkret werden. Hier in Teil 1: Warum und wie machen wir Zeitgeister?
Schöne neue Medienwelt
Am Anfang war die gedruckte Zeitung.
Nach dem Ersten Weltkrieg kam dann das Radio, nach dem Zweiten Weltkrieg das Fernsehen.
Zeitung, Radio, Fernsehen, das Triumvirat der klassischen Massenmedien, waren rund fünfzig, sechzig Jahre lang der zentrale Ort, in dem gesellschaftliche Debatten ausgetragen wurden.
Dann kam das Internet und alles wurde scheisse.
OK, das ist übertrieben. Scheisse war es schon vorher. Massenmedien waren die «Gatekeeper» der öffentlichen Meinung. Sie bestimmten, worüber und wie wir als Gesellschaft reden. Tonangebend waren in erster Linie politische und wirtschaftliche Eliten, wodurch gesellschaftliche Machtverhältnisse reproduziert und Fortschritt gehemmt wurden. Es gab nie, wie Herman und Chomsky in ihrem Klassiker «Manufacturing Consent» von 1988 argumentieren1, so etwas wie eine grosse geheime Verschwörung kontrollierter Medien. Es gab und gibt lediglich verzerrende politökonomische Logiken und Fehlanreize.
Und dann passierten die 1990er Jahre und plötzlich, in den unsterblichen Worten Boris Beckers: Ich bin drin. Das Internet kam, sah und siegte. Der öffentliche Diskurs wurde demokratisiert. Massenmedien büssen zunehmend ihre Rolle als Gatekeeper ein2; unabhängige Stimmen können sich einfacher als jemals zuvor Gehör verschaffen. Ende gut, alles gut.
Leider nicht ganz. Es ist nicht mehr scheisse wie früher, aber die Scheisse hat eine neue Qualität. Partizipationsmöglichkeiten und Pluralismus steigen durch das Internet durchaus, was super ist. Das ist aber nicht das Einzige, was steigt: Fake News, Hass und sonstiger Quark, in der Folge auch Polarisierung und Verdrossenheit, nehmen ebenfalls zu3. In den Untiefen des digitalen Diskurses sind viele Stimmen nur auf Spin und Bullshit bedacht. Besonders rechte Krawallmedien wie Breitbart, The Daily Wire, Weltwoche, Nius, Exxpress und wie sie alle heissen, gedeihen in dieser Ursuppe des digitalen Zorns bestens. Es geht um Ragebait, Reaktionen, Klicks, Wut, mehr Ragebait, mehr Reaktionen, mehr Klicks, immer weiter, immer tiefer. Die Spirale der Aufmerksamkeitsökonomie dreht schneller und schneller, und fast alle machen mit. Klicks um jeden Preis. Auf der Strecke bleiben Argumente.
Ich bin drin — will aber wieder raus. Doch es gibt keinen Weg zurück. Es gibt nur eine Option: Selber versuchen, es besser zu machen. Im Herbst 2023 haben wir darum entschieden: Fuck it, warum nicht.
Just (don’t) do it
Ganz ehrlich: Ein Medien-Startup zu gründen, auch ein so klitzekleines wie Zeitgeister, ist nüchtern betrachtet eine sehr, sehr, sehr dumme Idee. Niemand wartet auf noch eine YouTube-Show oder noch einen Podcast. Die Content-Flut ist heute gigantisch. Jeden Tag wird mehr Content erstellt als wir in unserem gesamten Leben hinunterwürgen können.
Wenn man dennoch mit Videos und Audio-Podcasts publizistisch aktiv sein will, braucht man gute USPs. USP steht für «Unique Selling Proposition» und bedeutet so viel wie: Was machen wir besser als die anderen? (Pro Tipp: Wenn man genug oft Wörter wie USP benutzt, darf man sich in der LinkedIn-Bio «Entrepreneur» nennen.)
Wir haben mit Zeitgeister ein paar Alleinstellungsmerkmale, die wir in der Summe gar nicht Mal so schlecht finden:
💯 Authentizität: Wir lesen nicht ein Skript ab, sondern begegnen euch und den Leuten, mit denen wir in der Show reden, auf Augenhöhe. Wenn wir selber Quark labern, hören wir das von euch.
🙏 In Good Faith: Wir meinen es so, wie wir es sagen und sagen es so, wie wir es meinen. Wir spielen nichts vor. We actually give a fuck.
♣️ Mit offenen Karten: Achtung, grosser Claim: Niemand ist so transparent wie wir. Wir flaggen unsere ideologischen Positionen klar aus und tun nicht so, als ob wir «neutral» seien. Genau darum soll es ja gehen: Kritisch zu diskutieren, wie die Welt sein soll. Und auch in puncto Finanzen sind wir transparenter als alle anderen: Wir werden unsere Einnahmen öffentlich machen, und zahlende Mitglieder haben Zugang zu unseren Quartalsmeetings, an denen wir Zahlen und Pläne diskutieren.
🦅 Unabhängigkeit: Niemand sagt uns, was wir zu sagen haben. Es gibt keine versteckten Financiers im Hintergrund, keine Verbindungen zu irgendwelchen politischen oder wirtschaftlichen Akteuren. Wir haben entsprechend auch nichts zu verlieren — und genau das macht uns stark.
🤼 Debatten: In der Show werden wir viele Debatten führen. Und zwar auch mit Leuten, die ganz andere Meinungen als wir vertreten. Wir sind der festen Überzeugung, dass man auch sehr problematischen Ansichten direkt mit Gegenargumenten begegnen muss. Meiden wir die Debatte, gewinnen die problematischen Ansichten automatisch. Und: Angeregte Debatten sind auch unterhaltsam, versprochen.
💬 Community: Ja, Community ist so Marketing-Blabla. Aber wir meinen das ernst: In unserer Show gibt es Live-Kommentare und Live-Anrufe, und in unserem Discord diskutieren wir auch Off the Air mit euch (Mehr zu unserer Community-Idee in einem der nächsten Newsletter).
🎬 4 Shows: Zeitgeister ist nicht nur eine Show. Wir machen zu Beginn ganze vier Shows mit unterschiedlichen Schwerpunkten: Die Zeitgeister-Hauptshow, Starting Up, Esc Esc Esc, EsoGulasch. Das ist für eine Mini-Bude wie uns ganz schön viel. Dazu kommen noch exklusive Bonus-Folgen für zahlende Mitglieder. Holy moly. (Mehr zu den Shows im nächsten Newsletter).
Genügt das, um es zu schaffen, um Impact in der Debatte zu haben? Who knows. Aber es gibt so einen Spruch aus der Golf-Welt: Wenn man den Ball zu kurz schlägt, geht er garantiert nicht ins Loch.
Wie genau machen wir es?
🥾 Bootstrapping, was das Zeug hält
Wir sind (leider!) keine Rich Kids und haben keine wohlhabenden Investoren im Rücken. Wir probieren, aus eigener Kraft etwas aufzubauen, was sich nachhaltig finanzieren lässt. Das ist so etwas wie eine unternehmerische Huhn-Ei-Situation: Um nachhaltig und regelmässig Content produzieren zu können, müssen wir uns finanzieren. Um uns unser Produkt zu verkaufen und uns dadurch finanzieren zu können, müssen wir nachhaltig und regelmässig Content produzieren. Wir machen also (Achtung, noch so ein Ausdruck für die LinkedIn-Crowd) Bootstrapping: Wir ziehen uns an den Schnürsenkeln hoch und wollen das Ding so zum Laufen bringen.
Noch vor rund 20 Jahren wäre so ein Vorhaben kaum umsetzbar gewesen. Teures Equipment in einem teuren Studio für einen komplizierten Vertriebskanal: Ohne nicht-triviales Startkapital recht unrealistisch. Aber heute geht es das online viel einfacher (Seht ihr, es ist doch nicht ganz alles scheisse mit dem Internet!). Wir arbeiten in einem virtuellen Studio und nutzen Audio- und Video-Equipment, das für den Anfang gut genug ist. Wir sind so effizient unterwegs wie es nur geht.
Aber mit Effizienz alleine ist es nicht getan. Um nachhaltig zu werden, müssen wir auch Einnahmen generieren. Wir würden Zeitgeister natürlich liebend gerne als reines Hobby-Projekt unterhalten, aber was sollen wir sagen. Wir benötigen ein Einkommen, um den luxuriösen Lebensstil, auf den wir nicht verzichten wollen (Essen kaufen, Miete zahlen), zu finanzieren. Wie generieren wir Umsatz? Über bezahlte Abos, für die man Zugang zu unserem Bonus-Content kriegt (vgl. zeitgeister.xyz/about).
Das Ganze stellen wir organisatorisch als Unternehmen auf. Vielleicht fragt ihr euch an dieser Stelle: Warum nicht als Nonprofit? Ganz einfach: Kleine alternative Medien funktionieren mit dem Nonprofit-Modell in der Regel nicht. Oder nur, wenn man grosszügig fremdfinanziert ist oder Selbstausbeutung betreibt (bzw. sich als Rich Kid ein aufwendiges Hobby leisten kann). Das war für uns nicht der richtige Weg.
In den Vorbereitungen Ende 2023 haben wir das Nonprofit-Modell in Betracht gezogen. Wir haben bei zwei Stiftungen gepitcht und hätten von einer davon tatsächlich 20’000 Franken für ein Pilotprojekt / MVP erhalten können. 20’000 Franken sind für unsere Verhältnisse, ohne Übertreibung, eine lebensverändernde Menge Geld. Das Angebot haben wir dann letztlich aber ausgeschlagen, weil sich dieses Modell einfach nicht richtig anfühlte. Wir gleisen Zeitgeister darum als komplett unabhängiges Kleinunternehmen auf, das sich an den eigenen Haaren in die Nachhaltigkeit ziehen muss. Sollten wir scheitern, scheitern wir. Das ist aber auch besser als ein Projekt jahrelang durch Fremdfinanzierung künstlich am Leben zu halten, obwohl sich keine Sau dafür interessiert.
Kann das funktionieren?
Prognosen sind bekanntlich ungenau; besonders, wenn sie die Zukunft betreffen. Ob wir mit Zeitgeister Erfolg haben werden, wissen wir nicht. Ob wir, wenn es gut läuft, in 12 Monaten genau das Gleiche machen wie zu Beginn, wissen wir nicht. Was wir aber wissen: Wir geben unser Bestes!
Der Umstand, dass du diesen Text hier fertig gelesen hast, ist jedenfalls schon Mal ein gutes Zeichen.
Cheers!
Herman, E. S., & Chomsky, N. (2002). Manufacturing Consent: The Political Economy of the Mass Media. Pantheon Books.
Dokumentiert z.B. im Digital News Report 2023 der Uni Oxford:
https://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/digital-news-report/2023
Lorenz-Spreen, P., Oswald, L., Lewandowsky, S., & Hertwig, R. (2023). A systematic review of worldwide causal and correlational evidence on digital media and democracy. Nature Human Behaviour, 7(1), Article 1. https://doi.org/10.1038/s41562-022-01460-1
Viel Erfolg! Ich glaub an Euch!